Krematorium Wien

Auch der Tod will gewürdigt sein, hier, im heimatlichen Wien. So soll es sein. Mit Freude präsentieren wir also das Wiener Krematorium, die erste Feuerhalle Österreichs. Zeitlich wie baukünstlerisch, muss angefügt werden. Es ist ein Solitär in Wiens moderner Architekturlandschaft, kraftvoll expressionistisch, wie es sich gibt. Die Kirche sah es nicht gern, natürlich. Und hatte doch das Nachsehen, als auf Anregung eines Vereins mit dem klingenden Namen «Die Flamme» ein Wettbewerb zur Ausschreibung kam. Josef Hoffmann gewann ihn, Clemens Holzmeister erhielt den Zuschlag. So war und ist das im Staate Österreich.
Wie auch immer. Holzmeister ließ also bauen. Auf den Gründen der ehemaligen Gartenanlagen von Schloss Neugebäude, vor allem der Nähe zum relativ neuen Zentralfriedhof wegen. Teile der alten Einfriedung wurden, praktisch veranlagt wie man war, gleich in die neu entstehende Anlage integriert. Hinter dem Haupteingang zunächst die Arkadengänge. Ausgewählte Urnen lagern hier, nicht selten blumengeschmückt. Er kann es sich nicht verkneifen, der Hinterbliebene, hier in Wien. Am Ende des Hofes schließlich das charakteristische Hauptgebäude. Ein rares Zeugnis expressionistischer Baukunst in Österreich, das sagten wir schon. Steriles Weiß prägt die Anlage. Holzschnittartig wirkt sie mit ihren klaren Linien und kantigen Abschlüssen, und burgähnlich. Im Schatten des Renaissanceschlosses ein sinniger Zug. Zinnenbekrönt die Umfassungsmauern, turmumschlossen der zentrale Baukörper. Dahinter kein Burgfräulein, das wartet, nein, die Schornsteine der Verbrennungsöfen. Bis in die achtziger Jahre koks– und gas-​, seither elektrisch betrieben, lehrt Freund Wikipedia, nicht ohne auf die 2008 erneuerte, gewiss hochmoderne Filteranlage zu verweisen, die uns im Bedarfsfall also morgen schon zur Verfügung stünde. Vielleicht eine Überlegung wert, feierlich wie sie wirkt, die schneeweiße Aussegnungshalle mit ihrem markant steilen Gewölbe, ihren spitzbögigen Arkaden und den nach oben hin zusammenlaufenden Ausbuchtungen. Geradewegs gen Himmel zeigen sie. Was dort wohl sein mag?
Das Ende naht und unser Arbeitgeber, ja der will Ergebnisse sehen. Wir beugen uns dem Druck und schreiten ein letztes Mal die Siegerlisten ab. Furchtlos und unerschrocken gehen wir dem Schlussstein entgegen, zwischen ihm und uns nichts als zwanzig maßgebliche Werke modernen Architekturschaffens in Wien. Unter ihnen, so muss es sein, das wunderbare Wiener Krematorium. Noch einmal sammeln wir Sachverstand und Urteilsgabe, weisen ihm, integer und unbestechlich wie eh und je, den ganz zweifellos hochverdienten zwöften Platz im Ranking zu, gratulieren herzlich und sagen Servus. Leise, wie es sein muss in Wien. Schön war’s, liebe Freunde, Kollegen, Wieneroberer, schön.
(Dieser Beitrag ist Teil der Serie «Wo in Wiens mit modernen Baukunststücken ausgiebig behübschten Straßen finde ich die beeindruckendsten, bahnbrechendsten und überhaupt maßgeblichsten Profanbauten der Moderne?». Nähere Infos und Hintergründe unter
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