La Grappa

WANDERER, KOMMST DU NACH PURKERSDORF
… wirst du dich vermutlich verlaufen haben, denn eine Touristen-​Idylle ist der landschaftlich reizvoll im Wienerwald, vor den Toren Wiens gelegene 8000-​Seelen-​Ort nicht, trotz seiner traumschönen Jugendstilvillen und kaiserzeitlichen Palazzos, seiner bewaldeten Hügel und Täler im Wiental, trotz seiner endlosen Waldwanderwege und Mountain-​Bike-​Strecken. Daß er dennoch keine wirkliche sommerfrischliche Idylle bietet, ist andererseits der eigentliche Grund seiner heutigen Existenz und die Erklärung für die prachtvollen Villen: Purkersdorf liegt nämlich an der Westbahn, die zwischen Wien und Linz verkehrt. Als diese Bahn noch k. u. k. privilegierte Kaiserin-​Elisabeth-​Bahn hieß, galt es in der Wiener upper class als tres chic, eine Sommerfrische-​Villa für die Familie direkt an dieser wunderbaren, modernen Eisenbahn zu besitzen. Wenn heute tagsüber alle zehn Minuten S– und Regionalbahnen, Güterzüge und ICEs durchs lauschige Wiental donnern, empfindet man sich nicht mehr als modern, sondern a bisserl zivilisationsgeschädigt.
Eigentlich gilt es nicht gerad schnurstracks als Kompliment für einen Ort, wenn man über ihn sagt, wie schön es sei, von ihm ganz schnell woanders hinkommen zu können, nicht wahr? Ich würde das nicht mal über meine Heimatstadt sagen. Aber Purkersdorf ist halt schon ein Urlaubsort an der Bahn, was positiverweise bedeutet, daß man in dreissig Minuten im Wiener Stadtzentrum sein kann, am Stephansdom, wenn man da denn zum Beispiel hinmöchte. Die Vorteile, die sich daraus ergeben, mögen die Purkersdorfer Touristik-​Experten genauer darlegen, die machen das schon, die haben auch letzten Samstag aus der Steinzeit des deutschen Rock’n’Roll den Peter Kraus hier zu einem Konzert herbeordert, was die Purkersdorfer überwiegend als Attraktion, und nicht als weitere Lärmbelästigung nach der Westbahn, empfanden.
Aber natürlich muß man nicht nach Wien. Man kann auch in Purkersdorf bleiben und zum Beispiel, wenn man nicht selber kochen, braten und backen will obwohl man bei EuroSpar im Zentrum von Purkersdorf hervorragendes Fleisch bekommt die hiesigen Restaurationsbetriebe in Anspruch nehmen. Zum Beispiel das La Grappa, gleich am Hauptplatz Nr. 5, neben der Kirche, in der wunderschönen alten Poststation beherbergt. Ein Italiener also. Wir habens ausprobiert. Nun, was soll man sagen?
Die Gattin fotographierte in der Gegend ein Werbeplakat der Firma Iglu, das uns vielleicht weiterhilft. Der Slogan: Heute gibt es Fisch? Riecht man gar nicht könnte durchaus dem Wirtshaus La Grappa frommen. Zwar rattert der Padrone mit einer Gestik, die er dereinst in größeren Restaurants gelernt haben muß, das frische Fischangebot herunter, aber unser Blick schweift über die Hügel des Wienerwaldes und das Herz fragt sich bang, woher denn hier Seezunge, Brasse und Schwertfisch frisch herkommen sollen. Man riecht den frischen Fisch auch gar nicht, nur den Schweiß, den es kostet, den wenigen Touristen besonders teure Gerichte aufzuschwatzen. Man versucht, ihnen zu schmeicheln, indem man vorgibt, sie für Italiener gehalten zu haben. Während die Gattin noch darüber nachgrübelt, ob sie das für eine Schmeichelei denn überhaupt halten soll, studiere ich die Weinkarte und runzele, wie in Deutschland auch immer, die verbraucherkritische Stirn: Für eine Flasche notorischen italienischen Supermarkt-​Weißwein (einheimischen führt man erst gar nicht, im niederösterreichischen Weinbaugebiet!)möchte man hier zwischen 29,00 und 56,00 Euro berechnen. Ein Achtel (!) verwässerter (!) Pinot Grigio soll immerhin 3,30 Euro kosten. Ich gestehe hier öffentlich, daß ich, auch wenn die Ärzte und Suchtberater jetzt sehr bedenklich schauen, daß ich mit einem Achtel Wein nicht weit komme. Also gleich Wasser. Wasser macht mich aber gereizt. Ich hasse offensichtliche gastronomische Habgier.
Um den Padrone wegen seiner Preispolitik ein wenig zu tadeln, bestellen wir keine Hauptgericht für 25,00 Euro, sondern Preiswertes: Pizza, Salate, Gemüse-​Vorspeisen. Die Gattin, über den Wein-​Nepp empört, bestellt sogar als für sie schon besonders schrille Protestnote ein Bier, obwohl sie Bier verabscheut. Die Qualität der Speisen nötigt uns ein gedehntes ganz okaaay ab, aber falls dies Begeisterung signalisiert, riecht man sie gar nicht!
Im La Grappa kann man man für recht durchschnittliches Essen sehr viel, für schlechten Wein sogar absolut zu viel Geld ausgeben, dafür aber sehr nett sitzen und das historische Gebäudeensemble betrachten. Irgendwie befriedigt uns das nicht wirklich. Vom Sehen und Gesehenwerden wird man nicht satt, und viel Geld geben wir lieber für ein Essen aus, das es auch lohnt. Purkersdorf muß doch mehr zu bieten haben.