Wahrhaft Revolutionäres ist hier kürzlich passiert, an Erfurts Hirschanger, in der ehemaligen Kurmainzischen Statthalterei. Denn praktisch aus kleiner Distanz von Tabaluga, dem hier versteckten Drachen aus dem Kinderprogramm, beobachtet, zog ein neuer Hausherr ein. Und dieser hat– 25 Jahre nach der Wende in der DDR– ein Parteibuch der Linken. Aber, anderslautenden Gerüchten zum Trotz– Karl Marx hat, als ich vor meiner Rückfahrt in mein Froschkönigreich unter anderen hierhin einen Abstecher gemacht habe, nicht aus dem Fenster geschaut. Doch schauen wir einfach mal zurück auf die Geschichte dieses Gebäudes, das nie ein ganz gewöhnliches Gebäude war. Gut 1000 Jahre war Erfurt kurmainzisch– die Mainzer Erzbischöfe waren zugleich wichtige Kurfürsten und hatten ein gar nicht so geringes Territorium. Und für Landesteile, die etwas entfernt waren, musste natürlich für die Verwaltung vor Ort gesorgt werden. So auch in Erfurt– einer Stadt, der man die mainzische Prägung durchaus noch heute ansieht. Zumal das sechsspeichige Mainzer Rad(in einfacher Ausführung, also nicht wie in Mainz als Doppelrad) das Stadtwappen ist. Doch auch dieser Statthalterei sieht man mainzische Farben und Formen an. Und fränkische Einflüsse. Zufall? Nein, Absicht. Die dreigeschossige Vier-Flügel-Anlage besteht nämlich nicht nur aus einem Renaissance– und einem Barockflügel, sondern auch einem barocken Mittelbau, der wie ein Risalit gleichsam«vorgeschoben» ist und den Haupteingang beinhaltet. Dieser Mittelbau wurde unter dem Erzbischof und Kurfürst Lothar Franz von Schönborn errichtet. Und die Schönborns haben sich durchaus auch in Franken«ausgetobt». Das Wappen zeigt dementsprechend unter anderem auch den Fränkischen Rechen. Und der rote Mainsandstein war in Mainz ohnehin nichts Außergewöhnliches. Und wenn man dann noch weiß, dass in den Bau nicht ganz untergeordnet Maximilian von Welsch involviert war, der auch in Mainz das eine oder andere geschaffen hat… Der Bau zeigt deutlich, dass hier nicht eine Herberge für das Prekariat geschaffen wurde. Und auch das Geistesleben kam nicht zu kurz. Unter dem letzten Statthalter Karl Theodor von Dalberg, der dann auch letzter Mainzer Erzbischof und Kurfürst(aber nur rechtsrheinisch) wurde, gingen hier Geistesgrößen wie die in Weimar wirkenden Goethe und Schiller, aber auch etwa Wieland und Wilhelm von Humboldt ein und aus. Während des Erfurter Fürstenkongresses wohnte Napoleon«natürlich» hier und traf sich dort auch mit Goethe. In Erfurts preußischer Zeit, die ja bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs ging, war die Statthalterei zeitlich ganz überwiegend Sitz des Regierungspräsidiums, ab 1933 aber der Gestapo. Ab 1954 saß hier der Rat des Kreises Erfurt-Land. Und nach der Wiedererrichtung des Landes Thüringen, als das lange Zeit ja preußische Erfurt als Landeshauptstadt bestimmt wurde, wurde die Statthalterei zum Sitz der Staatskanzlei und des Ministerpräsidenten. Sicherlich ein Stück weit Ironie des Schicksals, dass der zweite Thüringer Nachwende-Ministerpräsident ein Westimport wurde, der von 1976 bis 1988 in Mainz residiert hatte. Ich mag sie, die alten Gebäude — und so sehr Erfurt vielfach eine mittelalterliche Prägung hat, dieser Barockkomplex steht ihm. Und wenn man die Mainzer Adelspaläste aus dem Barock kennt, könnte man sich diese mitten um die Statthalterei herum vorstellen oder auch umgekehrt. Allein schon aus historischen Gründen kein Zufall.